Nachhaltigkeit

“Wir haben den Klimawandel gemeinsam verursacht und wir müssen ihn auch gemeinsam angehen“

 

Wie wirkt sich der Klimawandel auf uns aus – als Individuen, als Unternehmen und als Gesellschaft? Und was können wir tun, um ihn abzuschwächen? Diese Fragen diskutierten wir mit CEO Martin Brudermüller und Youba Sokona, stellvertretender Vorsitzender des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und Mitglied des Stakeholder Advisory Council der BASF. Der IPCC ist ein Gremium der Vereinten Nationen. Im August veröffentlichte es seinen jüngsten Bericht zum aktuellen Stand der Klimaforschung, in dem weltweit anerkannte Wissenschaftler ihre Erkenntnisse zusammenfassen.

Haben Sie in Ihrem persönlichen Leben bereits Auswirkungen des Klimawandels erfahren?

Youba Sokona: Ich bin in Mali aufgewachsen. In meiner Kindheit mussten wir in der kalten Jahreszeit, die in den gemäßigten Klimazonen dem Winter entspricht, unser Haus noch heizen und warme Kleidung tragen. Heute braucht in Mali niemand mehr eine Heizung. Die Kleidung, die ich früher im Winter getragen habe, ist völlig vergessen. Als ich in Timbuktu auf dem College war, haben wir regelmäßig eine dünne Eisschicht gesehen, die sich auf dem Sand bildete – das ist seither nicht mehr passiert. In weniger als 40 Jahren haben wir miterlebt, wie überall in der Sahelzone Trockengebiete entstanden sind. Die Afrikaner brauchen keine wissenschaftlichen Studien, um zu beweisen, dass der Klimawandel real ist, wir erleben ihn direkt vor unserer Haustür. 

Der Rhein ist die Versorgungsader für den BASF-Stammsitz in Ludwigshafen. 2018 stellte extremes Niedrigwasser die BASF-Logistik vor große Herausforderungen. Foto: BASF

Martin Brudermüller: Auch für mich ist dies ein Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: Ich habe vier Kinder und es ist mir wichtig, ihnen eine gute Zukunft und einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. In meinem Berufsleben habe ich allein in den letzten Jahren mehrfach Auswirkungen des Klimawandels erlebt: Das Niedrigwasser des Rheins im Jahr 2018 hat dazu geführt, dass wir unsere Produktion drosseln mussten, weil wir nicht genügend Rohstoffe anliefern und fertige Produkte abtransportieren konnten. Allein das hat BASF in diesem Jahr 250 Millionen Euro gekostet. Und erst vor wenigen Wochen mussten wir die Produktion am Standort Geismar unterbrechen, als Louisiana vom Hurrikan Ida getroffen wurde. Es ist völlig klar, dass die Transformation hin zur Klimaneutralität ein Muss ist. Bei BASF steht Klimaschutz ganz oben auf der Agenda und wir haben uns ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2030 wollen wir unsere Treibhausgasemissionen um 25 % gegenüber 2018 reduzieren, bis 2050 streben wir Netto-Null-Emissionen an. 

Sind die Beispiele, die Sie beide gerade genannt haben, Auswirkungen des Klimawandels oder natürliche Phänomene?

Sokona: Vor einigen Jahrzehnten konnten wir einige der extremen Wetterereignisse noch nicht mit Sicherheit auf den Klimawandel zurückführen. Das hat sich geändert, wie die wissenschaftlichen Daten zeigen, die kürzlich in unserem sechsten IPCC-Klima-Sachstandsbericht veröffentlicht wurden. In Zukunft wird es noch mehr solcher Wetterereignisse geben, wenn wir jetzt nicht energisch gegen den Klimawandel vorgehen. Wir haben den Klimawandel gemeinsam verursacht, und wir müssen ihn auch gemeinsam angehen.

Brudermüller: Ich habe mit vielen Klimaexperten gesprochen. Seit ein paar Jahren können sie mit Hilfe von Supercomputern den Klimawandel genauer berechnen und damit belegen, dass er schneller und heftiger stattfindet, als wir bisher dachten.

Was sind die konkreten Schritte, die wir gehen müssen?

Sokona: Wir werden die Probleme des Klimawandels nicht innerhalb eines Monats, eines Jahres oder gar zehn Jahren lösen können. Wir brauchen Geduld, Ausdauer und Engagement, um das Wohlergehen aller Menschen auf diesem Planeten zu schützen. Covid-19 hat gezeigt, dass wir unser Verhalten ändern können, wenn wir dazu bereit sind. Unser Handeln ist wichtig. Die Coronapandemie hat uns viele Lektionen über verschwenderisches Verhalten gelehrt. Während wir zu Hause bleiben mussten, hat niemand von uns mehr als ein Drittel der Kleidung getragen, die wir besitzen. Auch Unternehmen müssen sich ändern und von Systemen wegkommen, bei denen das Ende der Lebensdauer ihrer Produkte gleich mit einprogrammiert ist. Stattdessen müssen wir die technologischen Möglichkeiten für ein kontinuierliches Recycling weiterentwickeln. Diese Möglichkeiten sind noch nicht sehr gefragt, aber die Nachfrage kann geschaffen werden.

Youba Sokona, stellvertretender Vorsitzender des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und Mitglied des Stakeholder Advisory Council der BASF

Martin Brudermüller, Vorsitzender des Vorstands der BASF SE

Was sollten Chemieunternehmen tun?

Brudermüller: Eins ist sicher, ohne uns wird es nicht gehen. Die chemische Industrie liefert die Innovationen, die wir für eine nachhaltige Zukunft brauchen. Denken Sie nur an Batteriematerialien und Katalysatoren für intelligente Mobilität, Dämmstoffe für Gebäude oder unsere Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft. Die Klimaziele müssen jetzt mit konkreten Maßnahmen couragiert umgesetzt werden. Die 2020er-Jahre sind das entscheidende Jahrzehnt, um die Transformation mit unternehmerischem Mut anzugehen. BASF will die Transformation der chemischen Industrie vorantreiben. Wir haben eine Reihe von Pilotprojekten gestartet, um neue Technologien zu testen und wollen bis 2030 die ersten großen Anlagen klimaneutral machen. Diese neuen Technologien benötigen jedoch große Mengen an erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen. Deshalb investieren wir mit unserem Partner Vattenfall in einen Offshore-Windpark – und zwar ohne Subventionen. Ein weiteres solches Projekt planen wir mit dem deutschen Unternehmen RWE in der niederländischen Nordsee. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir die Unterstützung der Politik, indem sie Rahmenbedingungen schafft, die uns ertüchtigen. 

Was raten Sie einem Industrieunternehmen wie BASF, um eine so große Transformation erfolgreich zu gestalten?

Sokona: Sie müssen ein Klima-Champion werden, indem sie vier Kernthemen adressieren. Erstens: Eine starke Führung mit einer klaren Vision. Zweitens: Übersetzen Sie diese Führungsstärke in konkrete, umsetzbare Pläne. Drittens: Bringen Sie alle an einen Tisch, indem Sie eine Kultur der Nachhaltigkeit für alle Mitarbeiter einführen. Wenn alle davon überzeugt sind, dass Nachhaltigkeit der Schlüssel zum Erfolg des Unternehmens ist, werden die Menschen entsprechend handeln und dies als Teil ihrer Verantwortung akzeptieren. Und schließlich müssen Sie die schwierige Aufgabe lösen, sowohl Ihre aktuellen Herausforderungen anzugehen als auch gleichzeitig in die langfristigen Probleme zu investieren. Es kann sehr einfach sein zu sagen: Ich bin nur noch ein paar Jahre in diesem Job, die langfristigen Themen werden die Probleme meines Nachfolgers sein.

Brudermüller (lacht): Solche konkreten Ratschläge sind der Grund, warum ich die Diskussion mit Experten wie Ihnen, Youba, in unserem Stakeholder Advisory Council so sehr schätze. Lassen Sie mich noch ergänzen: Um erfolgreich zu sein, brauchen wir nicht nur Klima-Champions in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik, bei unseren Kunden und in der Gesellschaft. Statt eines politischen Wettlaufs um die ambitioniertesten Klimaziele brauchen wir einen Wettlauf um konkrete Maßnahmen, die zur Bewältigung des Klimawandels beitragen. Wir brauchen auch die regulatorischen Rahmenbedingungen, die uns auf unserem Weg unterstützen. Unsere Kunden müssen bereit sein, eine Prämie für klimaneutrale Produkte zu zahlen. Und wir müssen aufhören mit der Polarisierung und anfangen, einander zuzuhören und miteinander zu kooperieren. Wir bei BASF sind entschlossen, unseren Beitrag zu leisten. Ich lade alle ein, mit uns zusammenzuarbeiten!