Das Original bewahren
Gefälschte Waren sind ein sehr einträgliches Geschäft, werden immer ausgeklügelter und lassen sich nur schwer vom echten Produkt unterscheiden. Die wirtschaftlichen Folgen, der Imageschaden und sogar mögliche Gesundheitsrisiken treiben Unternehmen an, sich innovative Strategien auszudenken, um Fälschern weiterhin einen Schritt voraus zu sein.
„It’s the real thing“ (auf Deutsch etwa: „Es ist das Original“) dürfte einer der berühmtesten Werbeslogans überhaupt sein. Doch wie können Verbraucher sicher sein, dass die von ihnen gekauften Produkte echt sind, und wie können Unternehmen sicherstellen, dass die von ihnen verwendeten Einzelteile und Materialien dem entsprechen, was ihre Lieferanten vorgeben? Ob es um imitierte Designerartikel oder um den gefährlichen Handel mit nachgemachten Arzneimitteln oder Fahrzeugteilen geht: Fälschungen sind ein großes Geschäft.
Eine verlockende Kombination aus hohen Gewinnen und niedrigem Risiko zieht Kriminelle an. „Fast jedes Konsumgut und die meisten Industriekomponenten können gefälscht werden und wurden schon einmal gefälscht“, sagt Pottengal Mukundan, Direktor der Abteilung Wirtschaftskriminalität der Internationalen Handelskammer.
Registrierung der Rechte ist von zentraler Bedeutung
Nach Angaben der Polizeibehörde der Europäischen Union, Europol, ist das Internet die wichtigste treibende Kraft beim Vertrieb gefälschter Waren. Niedrige Preise und Direktbelieferung wirken auf Verbraucher attraktiv, und einige Internetseiten lassen sich nur schwer von denen der echten Rechteinhaber unterscheiden. „Es ist heute leichter, Seiten stillzulegen, über die gefälschte Produkte vertrieben werden. Aber andererseits ist es auch genauso leicht, für diese sofort wieder eine Ersatzseite aufzubauen“, erklärt Mukundan. Und da die Rechtsordnungen mehrerer Länder berührt sind, kann es schwierig sein, juristisch dagegen vorzugehen.
Um ihre Marken zu schützen, müssen die Firmen Markenzeichen und Designs offiziell eintragen lassen, wie Paul Maier, der Direktor des European Observatory on Infringements of Intellectual Property Rights (IPR) des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), unterstreicht. „Für Unternehmen ist es entscheidend, über Rechte zu verfügen, deren Inhaberschaft sie mit Zertifikaten von Urheberrechtsbehörden nachweisen können. Die Registrierung ist in den meisten Ländern eine Voraussetzung für den Rechtsschutz von Markenzeichen und ein wesentliches Beweismittel bei Designs.“ Nach der Registrierung ihrer Rechte können Unternehmen auch die Ermittlungsdatenbank des EUIPO nutzen, ein sicheres Instrument zur direkten Kommunikation mit den Rechteinhabern, Zollbehörden und der Polizei im Kampf gegen Fälschungen.
Unternehmen sollten außerdem regelmäßig im Internet nach gefälschten Seiten oder Produkten suchen und sicherstellen, dass sie bei den
rechtlichen Rahmenbedingungen in allen Regionen, in denen sie aktiv sind, auf dem neuesten Stand sind. Es hilft, regelmäßig Testkäufe
durchzuführen, und selbstverständlich auch, die Vertriebsnetze und Distributionskanäle zu kontrollieren. „Bei der Kontrolle des Markts auf
Verstöße gegen das Recht des geistigen Eigentums haben sich Rückmeldungen von Kunden und Informationen von Geschäftspartnern als die
verlässlichsten und maßgeblichsten Hinweisquellen erwiesen, insbesondere bei kleineren Betrieben“, so Maier. Die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor bei der Strafverfolgung und der Wissensaustausch mit Ordnungshütern sind ebenfalls wichtig.
Arzneien, Pflanzenschutzmittel, Kosmetika, technische Produkte wie Autoteile und Haushaltsgeräte – dies alles kann gefälscht werden. Es gibt auch Imitationen von Lebensmitteln und Getränken. Da sogar die für die Produktion verwendeten Materialien anfällig für Fälschungen sind, ist der Kampf gegen Kopien für Hersteller aus den unterschiedlichsten Branchen ein Thema.
Intelligente Technologien zur Fälschungssicherung
In der Textilindustrie beispielsweise haben laut James Hayward, PhD, Geschäftsführer der US Firma Applied DNA Sciences (ADNAS), Marktumfragen gezeigt, dass einige Einzelhandelsmarken bei dem Anteil und der Herkunft der enthaltenen Baumwolle falsche Angaben machen. Die Kunden erhielten nicht die Qualität, für die sie bezahlt hatten. Daher hat sein Unternehmen eine intelligente Lösung für dieses Problem entwickelt. Dabei werden zur Authentifizierung der Stoffzusammensetzung Markierungen auf Grundlage genetischen Materials von Pflanzen – Desoxyribonukleinsäure (DNS) – verwendet. „Wir stellen es uns wie eine Art Diagnose mit an schließender Therapie vor“, erklärt Hayward. „Unser ,Fasertypisierungs‘ Verfahren sagt uns, welche Sorte Baumwolle in Ihrem Produkt enthalten ist. Der therapeutische Teil besteht darin, die Faser während der Produktion mit der DNS zu markieren.“ Die Rohbaumwolle wird im Entkörnungsstadium gekennzeichnet, so dass ihr Weg vom Spinn- und Webprozess bis zum Verkäufer oder Verbraucher nachverfolgt werden kann.
Das Verfahren hält extremen Temperaturen, Abrieb und sogar ultravioletter Strahlung stand. Unternehmen, die Probleme mit der Kontrolle ihrer Lieferketten in Übersee hatten – die Endprodukte entsprachen den Anforderungen nur zu 20 Prozent oder weniger – haben es dank der Technologie geschafft, dass die Vorgaben nun zu 100 Prozent eingehalten werden. Dies ergaben mehr als 1.000 DNS-Tests. Darüber hinaus macht die erforderliche DNS-Menge nur einen einzigen von einer Billion Baumwollfaserteilen aus. „Sie ist so gering, dass das keinerlei Auswirkungen auf irgendeine Kunst- oder Naturfaser hat“, sagt Hayward.
„Es besteht eine wachsende Nachfrage nach Lasermarkierung. Die Möglichkeiten, die sie im Kampf gegen Fälschungen bietet, sind fast unbegrenzt.“
Dr. Steffen Ehrenmann, Produktmanager bei TRUMPF
Die Laserkennzeichnung ist ein weiteres Verfahren, mit dem Unternehmen beweisen können, dass ihre Produkte und Einzelteile echt sind. TRUMPF, ein international aufgestelltes Hightech-Unternehmen mit Sitz im baden-württembergischen Ditzingen, stellt Laser her, die jeden Werkstoff – einschließlich Metall, Kunststoff und organische Materialien wie Leder – schnell und dauerhaft markieren können. Ein Mobiltelefon oder Handscanner mit Verbindung zu einer Datenbank liest die verschlüsselten Informationen. Die Markierung selbst kann sich in dem Produkt verbergen oder ist aufgrund ihrer geringen Größe fast unsichtbar. Laser können sogar eine Kennzeichnung unter der Oberfläche anbringen oder die Materialzusammensetzung der obersten Schicht lokal verändern.
„Es besteht eine wachsende Nachfrage nach dieser Technologie“, so Dr. Steffen Ehrenmann, Produktmanager bei TRUMPF. „Unsere Kunden kommen unter anderem aus dem Automobilbau, der Luftfahrt, Medizinprodukte und Nahrungsmittelindustrie. Die Möglichkeiten, die das Verfahren im Kampf gegen Fälschungen bietet, sind fast unbegrenzt.“ In China machen Fälschungen für Pflanzenschutzmittel im Markt schätzungsweise 10 bis 15 Prozent aus. „Ein beträchtlicher Anteil“, meint Mark Shillingford, Leiter Marketing bei BASF Crop Protection in China. Schwerer abzuschätzen ist der Schaden für den Pflanzenbau, die Erträge der Bauern, ihr Land und möglicherweise für die Gesundheit des Menschen und den Ruf des betroffenen Produkts.
Fälschungssichere Etiketten und unsichtbare Markierungen
Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat BASF ein Kennzeichnungsverfahren für Etiketten auf Grundlage von Farbbeimengungen entwickelt, das Ende 2014 auf den Markt kam. Originalprodukte tragen ein Wasserzeichen, das in Innenräumen unsichtbar ist. Unter Sonnenlicht werden aber chinesische Schriftzeichen erkennbar. Doch bereits in den ersten sechs Monaten nach ihrer Einführung wurde die Technologie kopiert. „Wir hatten diese Obsoleszenz bereits eingeplant“, erläutert Shillingford. „Dieses Jahr haben wir ein neues Fälschungsschutzverfahren mit verschiedenen Codes eingeführt, und wir hoffen, dass wir dadurch den Fälschern weiterhin einen Schritt voraus sein werden. Das neue Verfahren umfasst sowohl das Innere als auch das Äußere der Verpackungen, und man benötigt eine spezielle Ausrüstung, um es lesen zu können.“
„Stellen Sie sich vor, eine Brücke stürzt ein und Sie wollen nachvollziehen, wessen Zement es war. Das können Sie nun tun. Zudem können Sie herausfinden, ob die Firma eine ausreichende Menge hochwertigen Zements im Beton verarbeitet hat.“
Lorenzo Ambrosini,
Segmentleiter bei BASF Construction Chemicals am Standort Zürich
Selbst die Zementproduktion hat Fälscher angelockt. „Ein Hersteller kann einen Zementsack öffnen, 10 Prozent entnehmen und diese durch Sand ersetzen, oder er kann beispielsweise bei der Betonmischung die falsche Zementmenge verwenden“, erklärt Lorenzo Ambrosini, Segmentleiter bei BASF Construction Chemicals am Standort Zürich.
Die Zementproduktion ist hochkomplex, und es kann schwierig sein, den Weg eines Produkts nachzuverfolgen, wenn es einmal die Fabrik verlassen hat. BASF hat einen Stoff zur Markierung entwickelt, bei dem eine Dispersion aus Acrylcopolymerpartikeln verwendet wird. Diese werden mit fluoreszierendem Material eingefärbt und haften an den Zementpartikeln. „Durch die Möglichkeit, Farben zu kombinieren, können wir einen Code für den Zement erstellen – wie einen Barcode. Doch dieser ist versteckt, man braucht die richtige Ausrüstung, um ihn zu erkennen“, erklärt Ambrosini. So kann der Zement auch nach Jahren in gehärtetem Beton noch geprüft werden. „Stellen Sie sich vor, eine Brücke stürzt ein und Sie wollen nachvollziehen, wessen Zement es war. Das können Sie nun tun. Zudem können Sie herausfinden, ob die Firma eine ausreichende Menge hochwertigen Zements im Beton verarbeitet hat“, stellt er fest.
Die Methode für die Messung der Partikel ist laut Ambrosini noch nicht automatisiert. „Noch muss die Arbeit von Hand gemacht werden, aber eines Tages werden Sie ein einfaches Gerät mit zu Ihrer Baustelle nehmen, es auf Ihre Betonwand richten und diese untersuchen können.“ Er glaubt, dass ähnliche Kennzeichnungsverfahren auch für andere anspruchsvolle Produkte im Premiumsegment, etwa Farben und Lacke oder Kosmetika, benutzt werden könnten.
In der Welt der Fälscher ist eines sicher – ein schneller technischer Wandel und bahnbrechende neue Verfahren wie der 3D-Druck führen dazu, im Kampf gegen diese Bedrohung immer einfallsreichere Antworten finden zu müssen. Unternehmen werden feststellen, dass es sich mehr als auszahlt, so viel wie möglich in den eigenen Schutz zu investieren und vertrauenswürdige Partner auszuwählen. Vorläufig sollte jeder eine ganz einfache Regel im Hinterkopf behalten, meint Mukundan: „Misstrauen Sie Produkten, die billiger scheinen, als sie sein sollten. Normalerweise gibt es einen Grund dafür.“
Die Produkte mit den meisten Fällen von Fälschungen weltweit 1
Nach Anzahl der Zollbeschlagnahmen. Produktmenge variiert je nach Beschlagnahme.
Quelle: Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) und European Union Intellectual Property Office (EUIPO)