13. Februar 2024
Medien

Verantwortung tragen

Der Weg zu einer Mode, die auch unserem Planeten passt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie beim Lesen dieses Textes nackt sind, ist gering. Wir Menschen bedecken uns seit rund 170.000 Jahren mit Kleidung, für die anfangs Blätter und Pelze herhalten mussten. Kleidung ist unsere zweite Haut. Sie drückt aus, wer wir sind oder sein wollen. Allein im Jahr 2022 kaufte jeder US-Amerikaner laut der American Apparel and Footwear Association rund 68 Kleidungsstücke. In anderen Industrienationen sieht es ähnlich aus. Doch warum greifen wir zu, obwohl wir genug haben?

 

„Das Kaufen setzt in unserem Gehirn ähnliche biochemische Prozesse frei wie bei der Einnahme von Kokain oder beim Verlieben“, erklärt Carl Tillessen, Ressortleiter „Zeitgeist“ beim Deutschen Mode-Institut in Köln und Autor des Bestsellers „Konsum“. Ob wir den Gegenstand brauchen oder nicht, ist dabei völlig unerheblich. Was zählt, ist das Gefühl beim Kauf. „Gerade die Mode bietet eine einfache und schnelle Möglichkeit, scheinbare Bedürfnisse zu befriedigen, indem sie uns mit ständig wechselnden Trends lockt.“

 

Während ein neues Outfit ein gutes Gefühl gibt, hat seine Herstellung häufig Schattenseiten. Die Modeindustrie verursacht rund 10 Prozent aller CO2-Emissionen – und damit mehr als die internationale Luft- und Seeschifffahrt zusammen. Dazu kommen Wasserverschmutzung und Berge von Altkleidern – Folgen unter anderem der billig produzierten „Fast Fashion“, die mit immer neuen Kollektionen auf den Markt drängt. Tillessen plädiert dafür, das Bewusstsein für das zu schärfen, was wir wirklich brauchen, und für die Bedingungen, unter denen unsere Kleidung hergestellt wird. Dass diese für die Beschäftigten oftmals katastrophal sind, haben Unglücke wie der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 gezeigt. Es ist ein schreckliches Beispiel von vielen für die schlechten Arbeitsbedingungen in Niedriglohnländern, in denen auch Kinderarbeit trotz zahlreicher nationaler und internationaler Bemühungen bis heute an der Tagesordnung ist.

 

Den Modekonsum auf einen Nachhaltigkeitsprüfstand zu stellen, ist kein leichtes Unterfangen. Als mehrdimensionaler Begriff umfasst Nachhaltigkeit die ökologische, soziale und wirtschaftliche Komponente. Dieser Artikel kann nicht alle Facetten abdecken, soll aber informieren und zugleich Mut machen. Denn es gibt sie, die vielversprechenden Lösungsansätze. Innovative Technologien, alternative Rohstoffe und neue Gesetzgebungen eröffnen Wege, um insbesondere die ökologischen Auswirkungen des Modekonsums zu verringern. Und auch wir als Konsumenten haben Einfluss. Beginnen wir bei der Faser.

Porträt von Carl Tillessen

„Wir sind unfreiwillige Opfer einer globalen Maschinerie, die auf Manipulation und Ausbeutung basiert.“

Carl Tillessen,


Konsumforscher

Fadenscheinig gut

Augen zu und Hand aufs Herz: Was fühlen Sie außer Ihrem Herzschlag? Statistisch gesehen spüren Sie wahrscheinlich Polyester, die am häufigsten genutzte Faser. Schauen wir genauer hin.

 

Fast drei Viertel aller weltweit verarbeiteten Fasern werden bis 2030 voraussichtlich synthetisch sein, 85 Prozent davon aus Polyester. Es ist leicht, reißfest und schnell trocknend – an sich eine geniale Erfindung. Doch Kunstfasern wie Polyester, Acryl und Nylon sind nicht biologisch abbaubar und setzen Mikroplastik frei.

 

Laut der Ellen McArthur Stiftung gelangen durch das Waschen von synthetischer Kleidung jährlich rund eine halbe Million Tonnen Mikrofasern in die Ozeane. Der spanische Modekonzern Zara Home bietet nun ein Waschmittel an, das den Mikrofaserabrieb während des Waschvorgangs um bis zu 80 Prozent reduziert. Das gemeinsam von BASF und der Zara-Muttergesellschaft Inditex entwickelte Produkt ist bereits in Mexiko und Europa auf dem Markt und eignet sich besonders für niedrige Temperaturen. Das schont die Fasern, verlängert die Nutzungsdauer der Textilien und verringert den ökologischen Fußabdruck beim Waschen. Kunstfasern sind nicht so Ihr Ding? Dann besteht Ihre zweite Haut vermutlich aus Baumwolle, die am zweithäufigsten verwendete Faser. Doch wie die synthetische Faser hat auch Baumwolle keine weiße Weste: So gibt es viele Berichte über Menschenrechtsverstöße auf Baumwollplantagen, wie Zwangsarbeit in Turkmenistan. Darüber hinaus verschlingt der Baumwollanbau viele Ressourcen, von großen Ackerflächen bis hin zu Unmengen an Wasser. So fließen beispielsweise in eine einzige Jeans nach UN-Angaben 7.500 Liter Wasser, ein großer Teil davon in den Baumwollanbau. Es geht aber auch anders: Mit nachhaltig angebauter Baumwolle – doch dazu später mehr. Ressourcenschonender sind Fasern aus anderen nachwachsenden Rohstoffen. Zum Beispiel aus Hanf, das man in China bereits vor 6.000 Jahren zur Herstellung von Textilien nutzte. Im Vergleich zur Baumwolle braucht die genügsame Pflanze nicht einmal halb so viel Wasser und erbringt 220 Prozent mehr Fasern. Doch Hanf ist in der Bekleidungsindustrie noch ein Nischenprodukt. Zum einen ist die Verarbeitung deutlich komplizierter als die von Baumwolle. Zum anderen führte sein Ruf als „Drogenpflanze“ vielerorts zu einem Anbauverbot, weswegen es Landwirten oft an Erfahrungswerten fehlt. Nicht so in China: Der Vorreiter in Sachen Hanftextilien produziert derzeit über 50 Prozent des weltweiten Nutzhanfs. Daneben haben eine Reihe weiterer alternativer Rohstoffe Potenzial.


Ob Polyester, Baumwolle oder Hanf – Farbe braucht das Garn immer.

Split image. A young man and woman standing on a rock at the coast on the left. a young man in a field of crops on the right.

Ponda setzt auf Materialien, die der Umwelt nutzen.
So wird aus Rohrkolben, die für die Renaturierung von Feuchtbiotopen genutzt werden, eine vegane Alternative zu Gänsedaunen.

Farbe bekennen

Was wäre eine Jeans ohne das typische Blau oder das Sommerkleid ohne knalliges Muster? Doch bunte Outfits haben ihren Preis.

 

Bereits unsere Vorfahren hatten Gefallen an farbenfroher Kleidung. Zum Färben von Textilien nutzten sie, was die Natur bot. Beispielsweise Purpurschnecken: Der aus ihnen gewonnene leuchtstarke Farbstoff war so kostbar, dass die Herrschenden ihn für sich beanspruchten. Oder der Farbstoff Indigo, das blaue Wunder aus der Natur, dessen Spuren sich schon in den gefärbten Bändern ägyptischer Mumien fanden.

 

Heute werden unsere Outfits größtenteils durch synthetische Farben bunt. Die Färbedurchgänge benötigen nicht nur viel Energie und Chemikalien, sondern auch enorme Mengen an Wasser. Rund 5 Billionen Liter Wasser werden laut World Resources Institute jährlich für das Bunt unserer Textilien verbraucht – genug, um 2 Millionen Schwimmbecken von olympischer Größe zu füllen. Daneben gehen etwa 20 Prozent der industriellen Wasserverschmutzung weltweit laut UN-Angaben auf die Rechnung von Färben und Textilveredeln. Es ist ein offenes Geheimnis, dass unbehandeltes Wasser aus Färbereien oft illegal in Flüsse eingeleitet wird.

 

Färben kann sich nicht nur negativ auf die Umwelt auswirken, sondern auch auf die Gesundheit der Menschen, die in diesem Bereich tätig sind. Ein Beispiel ist das Gerben und Färben von Leder, wozu unter anderem Chromsalze, Laugen und Farbstoffe genutzt werden. Menschen, die in der Lederverarbeitung in Niedriglohnländern tätig sind, haben oft keine oder nur eine rudimentäre Schutzkleidung. Dadurch kommen sie mit den Substanzen in direkte Berührung – oft mit schweren Gesundheitsfolgen.
Die Suche nach nachhaltigen Alternativen bringt die Naturfarben zurück. Das schwedische Start-up Mounid etwa hat eine „Algen-Tinte“ entwickelt, die den Energie- und Wasserverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen Färbemethoden im Sprühtechnikverfahren um bis zu 90 Prozent reduzieren soll. Im Gegensatz zu anderen natürlichen Rohstoffen konkurrieren Mikroalgen nicht um Anbauflächen und können schnell in größeren Mengen produziert werden. Außerdem eignet sich die Tinte laut Mounid auch für innovative ressourceneffiziente Sprühf.rbetechniken, die aufgrund der feinen Zerstäubung meist weniger Farbe brauchen und präziser sind. Aber: Derzeit ist es nicht möglich, alternative Farbstoffe in den Mengen herzustellen, die die Modeindustrie braucht.

 

Was allerdings in geraumen Mengen existiert, sind Altkleider. Schauen wir uns an, was mit nicht mehr genutzten Textilien passiert – und passieren könnte.

Neue alte Fasern

BASF hat eine innovative Lösung für Textil-zu-Textil-Recycling entwickelt. Ein chemisches Recyclingverfahren ermöglicht es, aus alten Kleidungsstücken loopamid® zu produzieren, einen Ausgangsstoff für neue Polyamid-Fasern. Aus diesen lassen sich neue, 100 % zirkuläre Kleidungsstücke herstellen.

Grafik die darstellt wie Textilien recycelt werden.

Zweites Leben für die zweite Haut

Weit über 80 Prozent der Materialien, die weltweit zur Kleiderherstellung verwendet werden, landen auf Mülldeponien oder werden verbrannt. Allein in der EU fallen jährlich rund 5,2 Millionen Tonnen an abgelegten Kleidern und Schuhen an. Recycelt wird nur ein Bruchteil. Was läuft da schief?

 

„Wir brauchen mehr Kreislaufwirtschaft“, fordert Professor Edwin Keh, CEO des Hong Kong Research Institute of Textiles and Apparel. „Unsere Kleidungsstücke bestehen aber oft aus synthetischen Mischfasern, die sich nur schwer recyceln lassen.“ Das Sortieren beim „Faser-zu-Faser-Recycling“ ist bislang aufwendig und teuer. Zwar ist die maschinelle Trennung von Fasern ein technisch etabliertes Verfahren, doch für ein optimales Recycling muss klar sein, um welche Fasern und Gemische es sich handelt. Schwierig, wenn Etiketten in den Kleidungsstücken fehlen, verblasst oder gar falsch beschriftet sind.

 

Abhilfe kann die Nahinfrarot (NIR)-Spektroskopie schaffen, die bereits zur Materialidentifizierung im Kunststoffrecycling eingesetzt wird. Hierbei werden Moleküle mit Nahinfrarotlicht in Schwingungen versetzt. Je nach Material fallen die Schwingungen unterschiedlich aus. Sie werden von einem Sensor erfasst, mit einer Datenbank abgeglichen und in Sekundenschnelle liegt die Information zur Textilart vor. Das BASF-Tochterunternehmen trinamiX hat eine kompakte NIR-basierte Lösung zur sortenreinen Sortierung von Textilabfällen entwickelt, mit deren Hilfe nicht mehr tragbare Kleidungsstücke in den Textilkreislauf zurückgeführt werden können. Die Lösung wird beispielsweise von der Soex Group, einem weltweit führenden Unternehmen im Bereich Alttextilrecycling mit Hauptsitz in Deutschland, eingesetzt.

Porträt von Edwin Keh

„Wir brauchen mehr Kreislaufwirtschaft.“

Edwin Keh,


CEO Hong Kong Research

Institute of Textiles and Apparels

Einen Beitrag zu mehr Kreislaufwirtschaft kann zudem chemisches Recycling leisten, bei dem auch Altplastik zu Kleidung werden kann. Hierbei werden die langen Kunststoff-Polymerketten wieder in ihre Grundbausteine zerlegt. „Die Vorteile sind weniger Abfall, weniger Ressourcenverbrauch und weniger Umweltverschmutzung“, sagt die Chemikerin Izzy Manuel. Die Influencerin für ethisches „Dopamine Dressing“ – ein bunter Kleidungsstil, der die Laune heben will – ist eine einflussreiche Stimme für nachhaltige Mode in Großbritannien.

 

Nachhaltige Fasern, nachhaltiges Färben. Das klingt gut, fühlt sich gut an – aber woher wissen wir, wie unser neues Lieblingsshirt hierbei abschneidet?

Geteiltes Bild. Auf der linken Seite ein Porträt von Danit Peleg. Rechts eine Nahaufnahme eines Kleides, das mit einem 3d-Drucker hergestellt wurde.

Kleidung einfach zu Hause ausdrucken?
Junge Designerinnen wie Danit Peleg weisen mit ihren Kollektionen aus dem 3D-Drucker der Modebranche den Weg in diese Zukunft.

Durchblick vom Anbau bis zur Anprobe

Um eine Kaufentscheidung für unsere zweite Haut mit gutem Gewissen treffen zu können, brauchen wir Transparenz. Und zwar entlang der gesamten Lieferkette.

 

Wie das funktionieren kann, zeigt das BASF-Projekt #Seed2Sew in Griechenland, dem größten Baumwollproduzenten Europas. #Seed2Sew 2022 ist Teil des BASF-Baumwollprogramms „Certified Sustainable FiberMax“ (CSF). CSF fördert den ökologisch nachhaltigen Anbau von Baumwolle – sprich einen geringeren CO2e-Ausstoß, weniger Wasserverbrauch sowie einen punktgenauen Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Dazu schonen eine behutsame Bodenbearbeitung, Fruchtwechsel, regelmäßige Bodenanalysen und Tröpfchenbewässerung die Böden und sparen Wasser und Energie. Rund 1.600 Landwirte, drei Baumwollentkörnungsbetriebe und eine Spinnerei nehmen an dem Programm teil und produzieren jährlich etwa 50.000 bis 55.000 Ballen Baumwolle.

#Seed2Sew befasst sich zusätzlich mit der Transparenz der Baumwoll-Lieferkette – vom Saatgut bis hin zum Einzelhandel. „Wir setzen die Blockchain-Technologie ein, um die Baumwoll-Lieferkette transparenter und rückverfolgbarer zu machen“, erklärt der BASF-Blockchain-Experte Abhijeet Sharma. Eine Blockchain ist eine Datenbank, die Daten in digitalen Blöcken chronologisch als Datenkette speichert. Die Datenketten werden auf verschiedenen vernetzten Rechnern gespeichert und überwachen sich gegenseitig. Das System gilt als besonders transparent und sicher, da Manipulationen schnell auffallen. 

Two people are walking along a cotton field.

Der wichtigste Beruf auf Erden

Erfahren Sie mehr über das BASF-Projekt #Seed2Sew in Griechenland.

Die Landwirte erfassen ihre nachhaltigenAnbauaktivitäten über eine Blockchainunterstützte App. Die Daten finden sich mit einem QR-Code verknüpft auf jedem Baumwollballen. „Am Ende kann auch das fertige Kleidungsstück mit einem QR-Code versehen werden. So lässt sich jeder Schritt von der Ernte bis zum Endverbraucher nachvollziehen“, sagt Sharma. An dem Blockchain-Projekt #Seed2Sew sind fünf Landwirte, ein Entkörnungsbetrieb und ein Spinnereibetrieb sowie Produktionspartner beteiligt. Für den Anbau von Baumwolle werden circa 315 Hektar Land genutzt. Diese Fläche reicht aus, um etwa 2.100 Ballen Baumwollfasern zu erzeugen, aus denen mehr als 2,3 Millionen T-Shirts hergestellt werden können.

 

In den USA hat BASF ein ähnliches Projekt ins Leben gerufen. Das e3® Sustainable Cotton Program gibt Baumwollfarmern die Möglichkeit, ihre Bemühungen um Nachhaltigkeit zu dokumentieren, und bietet Marken in der Mode- und Textilindustrie einen transparenten Zugang zu nachhaltig hergestellter Baumwolle.

 

Aufschluss über die Herstellung unserer Kleidung geben nicht nur QR-Codes, sondern auch Textilsiegel. Eine indiskrete Bitte: Drehen Sie Ihre zweite Haut doch kurz einmal auf links. Ist auf dem eingenähten Etikett ein Siegel zu sehen? Eine nachhaltige Kaufentscheidung haben Sie getroffen, wenn Sie jetzt beispielsweise ein weißes Hemd auf grünem Grund sehen. Das GOTS-Siegel (Global Organic Textile Standard) gehört zu den strengsten Textilsiegeln und umfasst sowohl ökologische als auch soziale Kriterien entlang der gesamten Lieferkette. Als ökologisch sehr streng gilt auch das Siegel IVN Best des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft. Es umfasst die Lieferkette für Naturfasern vom biologischen Anbau bis zum Endprodukt. Nicht alle Siegel sind so umfassend: Das Oeko-Tex® Standard 100 beispielsweise ist zwar weltweit eines der bekanntesten. Allerdings prüft es nur Schadstoffrückstände im Endprodukt. Über Herstellung und Umweltschutz macht das Siegel keine Angaben. Es lohnt sich also, genau darauf zu achten, welche Siegel die eigene Kleidung trägt. Doch Siegel allein sind nicht genug.

Geteiltes Bild. Links laufen Models in einem Baumwollkleid über eine Modenschau. Rechts eine Nahaufnahme einer Baumwollpflanze.

Auf diesem Feld nahe Komotini/ Griechenland, wird im Rahmen des CSF-Programms von BASF Baumwolle nachhaltig produziert – und in Szene gesetzt.
Jede Phase, von Feld bis zum Shop, ist mithilfe von Blockchain nachvollziehbar.

Gesetze massgeschneidert

„Wir brauchen die Führung der Politik, um die Branche per Gesetz fairer zu machen“, fordert die britische Sozialunternehmerin Safia Minney. Maßgeschneiderte Modegesetze rund um den Globus also. Eine Bestandaufnahme.

 

Viele Modehersteller haben die Notwendigkeit zum Handeln bereits erkannt. Ein Pionier in Sachen Nachhaltigkeit ist der amerikanische Hersteller von Outdoorkleidung Patagonia, der für sein Engagement mit dem „UN Champion of the Earth Award“ ausgezeichnet wurde. Das Unternehmen setzt seit den 90er-Jahren auf recycelten Kunststoff, seit 2005 gibt es ein Recyclingprogramm für die eigene Kleidung. Dazu hat es ein Sozialverantwortungsprogramm für seine Lieferketten ins Leben gerufen. Viele andere Hersteller sind nachgezogen.

 

Dabei gehört die Werbung mit nachhaltigen Kollektionen heute fast schon zum Standardrepertoire von Modeunternehmen. Einige von ihnen, bisher rund 100, haben die Charta der Vereinten Nationen für Klimaschutz in der Modeindustrie unterzeichnet. Sie bekennen sich damit zu dem Ziel, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken. Doch eine Studie der Umweltorganisation Stand.earth ergab, dass nur Levi Strauss & Co. als einziges von zehn untersuchten Unternehmen dieses Ziel voraussichtlich auch erreichen kann. „Wir müssen einen Kulturwandel bei den Modeunternehmen herbeiführen und die Branche so umgestalten, dass sie unserem  Planeten passt und gerechter wird“, sagt Safia Minney. Sie ist Gründerin des ökologischen Modelabels People Tree. Es gilt als das erste Label in der Bekleidungsbranche mit einer vollständig nachhaltigen Lieferkette einschließlich strenger Zertifizierungen – wie dem GOTS-Siegel.

Porträt von Safia Minney

„Wir müssen einen Kulturwandel bei den Modeunternehmen herbeiführen.“

Safia Minney,
Gründerin People Tree

Die Europäische Union (EU) nimmt mit ihrer Richtlinie zu unternehmerischer Sorgfaltspflicht im Hinblick auf Nachhaltigkeit Firmen aller Branchen – also auch Modeunternehmen – in den Blick. Ziel ist es, künftig große in der EU ansässige und umsatzdefinierte ausländische Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten und der Umwelt entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten zu verpflichten. Überdies möchte die EU die Kreislaufwirtschaft fördern: Als zentralen Baustein des Green Deals hat Brüssel die sogenannte „Ökodesign-Verordnung“ so gut wie beschlossen. Derzeit laufen die abschließenden Diskussionen zwischen EU-Kommission, Parlament und Rat. Damit soll unter anderem europaweit verboten werden, fabrikneue Textilien und Schuhe – wie nicht verkaufte Waren und Retouren – zu vernichten. Insgesamt soll Kleidung bis zum Jahr 2030 langlebiger, recyclingfähiger und umweltfreundlicher werden.

 

Auch in anderen Teilen der Welt handelt die Politik. In den USA heißt der neue Gesetzentwurf für den Modesektor „Fashion Act“ und soll für den Bundesstaat New York gelten. Ein Punkt sind verbesserte Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig sollen Unternehmen, die auf dem New Yorker Markt verkaufen wollen, verpflichtet werden, sich an das Pariser Klimaabkommen zu halten.

Geteiltes Bild. Auf der linken Seite posieren ein männliches und ein weibliches Modell in abfallfreier Kleidung. Rechts ist die Designerin Jessica Chang zu sehen, die die Kleidung entwirft.

Recycelte Textilien und Zero-Waste-Schnittmuster machen die Kollektionen der Designerin Jessica Chang aus.

„Es ist der Lebensstil der Menschen im Norden, der für die globale Erwärmung verantwortlich ist, während die Menschen im globalen Süden die Hauptlast des Klima- und Umweltkollapses tragen und sich die Einkaufspraktiken und Handelsbedingungen der Modebranche weiter verschlechtern. Wir müssen uns der Verantwortung stellen, die alle Wirtschaftsführer tragen“, fordert Aktivistin Minney, die auch Gründungsmitglied des globalen Netzwerks Fashion Declares ist. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, „den Wandel in einem der umweltschädlichsten und ungerechtesten Sektoren der Welt zu beschleunigen“, wie Minney erklärt. Neben Info-Materialien bietet die Initiative auch Webinare und Schulungen an und hat die Regenerative Fashion Conference ins Leben gerufen. „Wir brauchen mehr Transparenz und Zusammenarbeit untereinander, wir tauschen bewährte Praktiken aus und regen branchenweite Debatten und Maßnahmen an“, so die Unternehmerin. Ein Beispiel sind Branchenbündnisse. Dass diese vor enormen Herausforderungen stehen, musste zum Beispiel das Bündnis für nachhaltige Textilien erfahren, das 2014 nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza vom Deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung initiiert wurde. Es setzt sich für eine soziale, ökologische und korruptionsfreie Textil- und Bekleidungsbranche ein. Mittlerweile sind einige Mitglieder wie die Clean Clothes Campaign wieder ausgetreten, da das Bündnis die Arbeitsbedingungen in den globalen Bekleidungslieferketten ihrer Meinung nach nicht verbessert hat.

 

Weltweit haben Politik und Markenhersteller nachhaltige Mode auf der Agenda. Und auch viele Jungdesigner haben Nachhaltigkeit fest in ihrer DNA verankert. Doch um die Industrie flächendeckend zu verändern, braucht es ebenfalls die Konsumenten. „Menschen kaufen mehr Kleidung und werfen sie schneller weg“, kritisiert Professor Keh. Schauen wir, welchen Beitrag Verbraucher selbst leisten können.

Gif der oberen Hälfte eines T-Shirts, die in einem pixeligen Bild erscheint und verschwindet

Pixel machen Kleider

Ärgerlich: Im Onlineshop sieht die Jeans toll aus, in echt ist sie zu klein, zu groß oder gefällt nicht. Retouren solcher Fehlkäufe sind lästig, produzieren Verpackungsmüll und ihr Rücktransport verursacht CO2-Emissionen. Abhilfe schafft eine virtuelle Anprobe, etwa beim Deutschen Onlineversandhändler Zalando. Die Eingabe weniger Parameter wie Größe und Gewicht generieren einen persönlichen Avatar, der in die virtuelle Umkleidekabine schlüpft. Sogar Modenschauen nutzen den digitalen Raum. Modelabels wie Dolce & Gabbana, Tommy Hilfiger und DKNY schickten bei der Metaverse Fashion Week 2023 Avatare auf den digitalen Laufsteg. Das spart Stoff, weil die Kollektionen für die Show nicht physisch produziert werden, und vermeidet CO2-Emissione für Transport- und Reisewege. Übrigens, die Gaming-Branche hat virtuelle Mode schon länger für sich entdeckt: „Fortnite“-Spieler etwa können ihre Avatare gegen einen Aufpreis modisch ausstaffieren.

Gif der unteren Hälfte eines T-Shirts, die in einem pixeligen Bild erscheint und verschwindet

Entschleunigung im Kleiderschrank

Wir kaufen mehr als wir tragen. Der Kleiderschrank platzt aus allen Nähten. Was kaputt ist, kommt weg. Es geht auch anders!

 

Qualität statt Quantität: Um gut gekleidet zu sein, genügt schon eine kleine Auswahl an hochwertigen Basics – im besten Fall mit einem entsprechenden Textilsiegel. Diese lassen sich ganz nach dem Capsule-Wardrobe-Prinzip untereinander kombinieren und nach eigenen Wünschen zusammenstellen. Die USAmerikanerin Donna Karan entwarf und bewarb entsprechend 1985 eine der ersten Capsule-Wardrobe- Kollektionen, die „Seven Easy Pieces“ – bestehend aus sieben flexibel kombinierbaren Teilen. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe solcher Kollektionen.

 

Ein Loch in einem Capsule Basic muss nicht gleich das Aus des Kleidungsstücks bedeuten. Beim Kauf liegen das passende Garn und Knöpfe zum Ausbessern bei, wie etwa bei Kleidungsstücken von WoolOvers aus Großbritannien. Wer nicht selbst zur Nadel greifen will oder zwei linke Hände hat, für den stehen Reparaturservices parat: Der Versandhändler Zalando beispielsweise hat 2021 sein Pilotprojekt „Care & Repair“ gestartet, das nun ausgewertet wird, um die nächsten Schritte zu planen. Kunden konnten den Service online buchen. Beschädigte Kleidung oder Schuhe wurden zu Hause abgeholt und von lokalen Fachleuten repariert. Übrigens: In Frankreich ist das Reparieren von Kleidungsstücken seit Oktober vergangenen Jahres sogar staatlich subventioniert – wer Schneider und Schuster aufsucht, bekommt einen Reparaturbonus.

 

Oder soll der alte Mantel lieber gleich wie Phoenix aus der Asche auferstehen? In ihrem Programm „Renew“ bietet die US-Modemarke Eileen Fisher an, alte Kleidungsstücke aus der eigenen Kollektion zurückzunehmen. Diese werden gereinigt und teils „upgecycelt“. Seit 2009 hat das Unternehmen eigenen Angaben zufolge 1,9 Millionen Kleidungstücke zurückgenommen, weiterverkauft oder in neue Designs verwandelt. Nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Kunden lohnt sich der Service. Sie bekommen pro zurückgebrachtem Kleidungsstück – egal in welchem Zustand – fünf Dollar. Ein ähnlicher Impuls kommt vom schwedischen Modelabel Asket. Das Unternehmen hat in Stockholm nicht nur einen Store eröffnet, in dem es gebrauchte und reparierte Asket-Kleidungsstücke anbietet, sondern plant auch eigene Upcycling-Workshops für seine Kunden.

 

„Kreislaufwirtschaft beginnt, die Kleidungsproduktion zu prägen. Auf der Verbraucherseite bieten Secondhand-Käufe, Verleih und Reparaturen eine Möglichkeit, die ökologischen Auswirkungen der Mode zu verringern“, sagt Minney, die seit ihrem 17. Lebensjahr Secondhand-Mode kauft und damit handelt. Inzwischen profitieren auch ihre Nichten von ihrer gebrauchten Kleidung. Wer keine Modeschöpferin zur Tante hat: Designerkleidung und Accessoires zum Mieten bieten Online-Plattformen wie „Rent the Runway“. Der US-Kleiderverleiher überzeugt aktuell mehr als 140.000 Menschen mit seinem Kleiderabo.

 

„In unserer Gesellschaft sind wir alle daran gewöhnt, monatlich, wöchentlich oder sogar täglich viele Kleidungsstücke zu kaufen“, sagt Izzy Manuel. „Es kann schwer sein, mit dieser Gewohnheit zu brechen. Dafür stelle ich mir vor einem Kauf die Frage: Werde ich das wirklich tragen? Kaufe ich es, weil es ein Schnäppchen ist oder weil ich gerade in Kauflaune bin?“ Die Devise für den eigenen Kleiderschrank lautet also: Tempo raus! Sich ehrlich hinterfragen und informieren, bevor man etwas Neues kauft. Lieber wenige, ausgewählte Stücke, dafür aber in sehr guter (Recycling-)Qualität. Und wo immer möglich tauschen oder upcyceln. Die Wahl unserer Kleidung entscheidet darüber, wie viel Verantwortung wir für andere Menschen und unseren Planeten tragen.

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