Geschichte
Ein belastetes Kapitel deutscher Industriegeschichte
Schlaglichter anlässlich der Gründung von I.G. Farben vor 100 Jahren
Im Bewusstsein eines lückenhaften Forschungsstandes beleuchtet BASF Corporate History zum 100. Jahrestag der Fusion ausgewählte Aspekte aus der Geschichte der I.G. Farben-Werke Ludwigshafen/Oppau. Zudem geht es um die gewandelte Auseinandersetzung mit dem Kapitel I.G. Farben bei BASF: vom Verschweigen und Verdrängen bis hin zur Neubewertung und der Übernahme historischer Verantwortung.
Durch Fusion entsteht am 2. Dezember 1925 das mit Abstand größte deutsche Chemieunternehmen, das weltweit zu den fünf bedeutendsten Konzernen der Branche zählt: I.G. Farben. Der Konzern geht aus dem Zusammenschluss von BASF mit Bayer, Agfa, Hoechst, Griesheim-Elektron und Weiler-ter Meer hervor. Viele Innovationen, oft aus den vormaligen BASF-Standorten Ludwigshafen/Oppau, gelten als wissenschaftlich-technologische Meilensteine. All das wird jedoch von der tiefen historischen Verantwortung des Konzerns überlagert: Der Name I.G. Farben ist heute untrennbar mit dem NS-Regime, Auschwitz und dem I.G. Farben-Prozess verbunden. Aus wirtschaftlichem Kalkül manövriert sich der Konzern ab 1933 in eine enge Kooperation mit den Nationalsozialisten. Mit seinen Ersatzstoffen hilft er, die Autarkie- und Aufrüstungspolitik und schließlich den Angriffs- und Vernichtungskrieg des Regimes zu ermöglichen.

Aus BASF wird die Betriebsgemeinschaft Oberrhein
Im April 1925 feiert BASF mit einer Jubiläumsausgabe der Werkzeitung ihr 60-jähriges Firmenjubiläum. Doch zum Jahresende existiert sie nicht mehr. Stattdessen werden die Werke der I.G. Farben-Gründungsunternehmen in Gruppen (sogenannten Betriebsgemeinschaften, kurz BG) neu organisiert. Die bisherigen Standorte Ludwigshafen, Oppau und Leuna bilden nunmehr die BG Oberrhein – der Zusatz „Badische Anilin- & Soda-Fabrik“ bleibt aus Tradition erhalten. Ludwigshafen, Oppau und Leuna behalten auch im neuen Konzern ihren Status als Herstellungszentren für Grundstoffe und Hochdruck-Syntheseprodukte wie Stickstoff, Methanol und später auch Treibstoff. Ihre anfänglich relativ große Eigenständigkeit schwindet ab 1929, als sich I.G. Farben in Sparten mit je eigener Vertriebs- und Produktionsstruktur neuorganisiert. Oppau und Leuna gehören fortan zu Sparte I (Stickstoff, Methanol, Treibstoff, Bergbau), Ludwigshafen wird in Sparte II (organische/anorganische Chemikalien, Farbstoffe, Kautschuk, Pharmazeutika, Pflanzenschutzmittel) integriert.

Titel der Werkzeitungsausgabe zum 60. Jubiläum von BASF im April 1925
Geburt eines Giganten
Die Gründung von I.G. Farben bildet den Höhepunkt von seit längerem in der deutschen Chemieindustrie bestehenden Konzentrationstendenzen. Lose Verbünde gibt es seit 1904. Der Schritt von 1925 ist jedoch deutlich drastischer, denn die I.G. Farben-Gründungsunternehmen geben ihre rechtliche Selbstständigkeit auf. Man erhofft sich durch die Verschlankung von Produktion und Vertrieb eine durchgreifende Rationalisierung, vor allem aber mehr Wettbewerbsfähigkeit. Im Zuge des Ersten Weltkriegs hatten die deutschen Chemieunternehmen ihre bis dahin international marktbeherrschende Position eingebüßt.
Ein wesentlicher Treiber der Fusion ist BASF-Vorstandsvorsitzender Carl Bosch (1874–1940). Ihm geht es nicht nur um die Rationalisierung des traditionellen Farbstoffgeschäfts, sondern auch um die Absicherung der kapitalintensiven Treibstoff-Synthese, dem jüngsten, noch in der Entwicklung befindlichen Hochdruckprojekt von BASF. Mit 45 Prozent Umsatzanteil dank ihres Düngemittelgeschäfts und der herausragenden Größe der Werke Ludwigshafen/Oppau ist die „alte“ BASF 1925 die größte Einzelkomponente von I.G. Farben. Deshalb und wegen der wissenschaftlich-technischen Expertise seines Stammunternehmens kann Bosch die Führung im neuen Konzern für sich beanspruchen. Er ist bis 1935 Vorstandsvorsitzender. Einerseits macht Bosch I.G. Farben in dieser Funktion durch richtungsweisende Entscheidungen zu einem der größten Chemieunternehmen der Welt mit einem breiten Produktportfolio. Andererseits ebnet er den Weg zur Kooperation mit dem NS-Regime, obwohl er dessen rassistische Politik strikt ablehnt.

Sechs Gründungsunternehmen gehen 1925 in I.G. Farben auf. Das Konzernlogo zeigt die Buchstaben „IG“ in einem stilisierten Destillierkolben.
BG Oberrhein: Wissenschaftlich-technologisches Schwergewicht
Ihre bestehenden Stärken machen die BG Oberrhein zum Schwergewicht – vor allem im Hinblick auf traditionelle BASF-Innovationen und -Produkte in der Farbstoffchemie, auf Zwischenprodukte und Grundchemikalien. Hinzu kommen neue Erfolge auf dem Gebiet der Kunststoffe. Besonders relevant ist die Hochdrucktechnologie, die BASF 1913 mit der Ammoniaksynthese in die chemische Industrie eingeführt hatte. Damit liegt konzernintern das Technologiemonopol für Hochdrucksynthesen in Ludwigshafen/Oppau. Das unbedingte Festhalten an dem verlustreichen Hochdruckverfahren zur Treibstoffsynthese lässt I.G. Farben staatliche Unterstützung suchen, was 1933 in die Kooperation mit dem NS-Regime mündet.
Palast der technichen Moderne
280.000 Kubikmeter Volumen, in denen 4.600 Tonnen Stahl verbaut sind: Mit diesen Kennzahlen beeindruckte die 1931 bezogene neue Zentrale von I.G. Farben in Frankfurt am Main. Unternehmensleitung, Verkaufsorganisation und Rechnungswesen sind hier zentralisiert. Die schiere Dimension von Europas damals größtem und modernstem Verwaltungsgebäude führt der Weltöffentlichkeit auch die monumentalen Dimensionen von I.G. Farben vor Augen. Die Architektur soll Rationalität, Stärke, Schaffenskraft und Selbstbewusstsein ausstrahlen.


Diese satirische Postkarte von Anfang der 1930er-Jahre setzt die überragende Größe von I.G. Farben und die Massenarbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise kritisch in Bezug.

Vom Feindbild zum Grundpfeiler der NS-Autarkie
Dass I.G. Farben der NSDAP oder Hitler zur Macht verholfen hat, ist ein gleichermaßen falscher wie wirkmächtiger Mythos. Der Konzern wird in der Weimarer Republik aus verschiedenen Lagern angefeindet, auch von der NSDAP. Dazu gehören sowohl in Ludwigshafen als auch auf Reichsebene antisemitische Attacken gegen I.G. Farben als Repräsentantin des Feindbildes eines angeblichen „internationalen Finanzjudentums“. Denn in Vorstand und Aufsichtsrat des Konzerns, aber auch unter seinen Wissenschaftlern, sind viele jüdische oder jüdisch-stämmige Personen. Dennoch kommt es infolge der NSDAP-Wahlerfolge Ende 1932 zu ersten sondierenden Gesprächen über die Treibstoffsynthese. 1933 arrangiert man sich mit den Machthabern. Aus Kalkül. So steht etwa der I.G. Farben-Vorstandsvorsitzende Carl Bosch der demokratischen, bürgerlich-liberalen DDP nahe. Der NSDAP gehört er nie an. Vielmehr kritisieren Bosch und andere Vorstandsmitglieder deren Antisemitismus. Gleichwohl stützt der Konzern aus betriebswirtschaftlichen Gründen die zuvor noch von Bosch öffentlich abgelehnte NS-Autarkiepolitik. Ab 1933 fließen strategische Großspenden an die NSDAP mit erstem, kleineren Vorlauf 1932, als sie erstmals stärkste Partei im Reichstag wird. Die führenden Manager des Konzerns bleiben mit einer Ausnahme (Willhelm R. Mann) zunächst mehrheitlich noch auf persönlicher Distanz. 1933 gehören drei von 17 ordentlichen Vorstandsmitgliedern der Partei an. Weitere Eintritte folgen 1937/38.

Sitzungspause des I.G. Farben-Vorstands: Carl Bosch beim Aktenstudium, ca. 1926 [Quelle: BASF Corporate History / Fotograf: unbekannt]
Verhängnisvoll - Kooperation mit dem NS-Regime
Nach der vorübergehenden Dominanz des Stickstoffs bleiben die Traditionssektoren Farbstoffe und Pharma die „Gewinnbringer“ des Konzerns. Um ihre höchst unrentable Treibstoffsynthese abzusichern, macht sich I.G. Farben im Dezember 1933 mit dem „Benzinvertrag“ das NS-Ziel der Autarkie (wirtschaftliche Unabhängigkeit) zunutze. Auch für die Aufrüstungspläne des NS-Regimes sind Produkte der BG Oberrhein zentral. Davon profitieren die I.G Farben und ihre Werke Ludwigshafen/Oppau deutlich. Der durch den „Vierjahresplan“ (1936) forcierte Ausbau der Synthesekapazitäten für Treibstoffe und Buna (Butadien-Natrium, Kautschuk-Ersatzstoff) wird durch Know-how und Personal aus Ludwigshafen erst möglich. Sie zählen zu den Produkten des Konzerns, die im Zweiten Weltkrieg unverzichtbar werden.
I.G. Werke Ludwigshafen/Oppau - Profiteure der NS-Politik?
Schon in den Vorkriegsjahren profitiert I.G. Farben und besonders die BG Oberrhein von der NS-Wirtschaftspolitik. So geht beispielsweise im Großen und Ganzen die Umsatzentwicklung des Konzerns und der pfälzischen Schwesterwerke in Ludwigshafen/Oppau mit der Nachfrage einher, die durch die NS-Autarkie- und Aufrüstungspolitik erzeugt wird. Die größten Gewinne werden allerdings abseits der politisch beeinflussten Felder erwirtschaftet: In den traditionellen Farbstoff- und Textilhilfsmittelbereichen zum Beispiel, in welchen das Werk Ludwigshafen auch nach 1933 eine anhaltend starke Stellung innehat. Mit der Regulierung und Lenkung von Investitionen durch die NS-Wirtschaftsbürokratie fließen ab 1936 Gelder in die Produktion synthetischer Ersatzstoffe sowie in die Rüstungs- und später Kriegswirtschaft. Da ein wesentlicher Teil des Know-hows für entsprechende Herstellungsverfahren bei I.G. Farben liegt, entfällt auf sie und speziell auf die Werke der BG Oberrhein ein großer Anteil an den entsprechenden NS-Programmen, wobei der Konzern neue Produktionsstätten überwiegend aus eigenen Mitteln finanziert. Der Anteil von I.G. Farben an den staatlichen Investitionsplänen ist groß, er entspricht aber der relativen Stellung des Konzerns in der deutschen Chemieindustrie.
Nazifizierung des betrieblichen Alltags

Ungleich stärker als unter den Arbeitern fasst die NSDAP in der Angestelltenschaft Fuß. Angestellte und insbesondere Akademiker von I.G. Farben in Ludwigshafen/Oppau haben auch in den Ortsgruppen der Partei großes Gewicht. Erster Ludwigshafener NSDAP-Kreisleiter wird 1932 Dr. Wilhelm Wittwer, Ingenieur in Oppau. Dem gegenüber besteht die Führung der Werke Ludwigshafen/Oppau Anfang der 1930er Jahre aus bürgerlichen und politisch gemäßigten Konservativen. Erst ab 1938 sind NSDAP-Mitglieder in der Werksleitung: Carl Wurster und Otto Ambros, beide 1937 beigetreten.

Ab 1933 ist die NS-Ideologie allgegenwärtig im Arbeitsalltag – durch verpflichtende Betriebsappelle, Hakenkreuzflaggen und den Einzug des autoritären „Führerprinzips“ auf Betriebsebene. Unterschieden wird nun zwischen „Gefolgschaft“ und „Betriebsführern“ (NS-Begriffe). Auch die Werkzeitung verliert ihre bewusst apolitische Grundhaltung und wird ideologisch instrumentalisiert. Der sogenannte NS-Vertrauensrat tritt an die Stelle des frei gewählten Betriebsrats.
Vier Gesichter der I.G.-Werke Ludwigshafen/Oppau
Sie alle machen zentrale Karriereschritte in den Werken Ludwigshafen/Oppau oder in den Leuna-Werken in Merseburg. Und sie alle werden später Vorstandsmitglieder von I.G. Farben. Carl Bosch wird als Vorstandsvorsitzender 1935 von Hermann Schmitz (1881–1960) abgelöst, 1940 als Aufsichtsratsvorsitzender von Carl Krauch (1887–1968). Otto Ambros (1901–1990) erlangt seine Bedeutung hingegen durch seine zentrale Stellung im Buna-Programm. Der wachsende personelle Einfluss der BG Oberrhein im Konzern fußt auf der Bedeutung ihrer Hochdrucktechnologie für NS-Autarkie und -Aufrüstung. Bei ihrer Gründung (1925) sind 27 Prozent der Vorstandsmitglieder von I.G. Farben (22 von insgesamt 83) der „alten“ BASF zuzuordnen, 1945 werden es 44 Prozent (10 von 23 Vorstandssitzen) sein. Zum Vergleich: Die beiden nächstgroßen Gründungsunternehmen liegen 1945 zusammen bei 32 Prozent.

Stütze der NS-Kriegspolitik
Ohne Leuna-Benzin und Buna wäre der Krieg schnell vorbei gewesen: Diese und andere I.G. Farben-Produkte sind für den Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten unverzichtbar. Die Wehrmacht deckt ihren Bedarf an Kunstgummi für die Bereifung ihrer Fahrzeuge allein aus der Buna-Produktion des Konzerns. Bei der Treibstoff-Versorgung ist der I.G. Farben-Beitrag zwar deutlich kleiner, doch lässt sich Flugbenzin für die Luftwaffe ausschließlich nach ihrem Verfahren synthetisch gewinnen. Daneben geht es um die Herstellung von chemischen Grundstoffen zur Weiterverarbeitung für verschiedenste militärische Anwendungsbereiche, aber auch um Kampfstoffe, Sprengstoffe und deren Vorprodukte.
Von der Kriegskonjunktur, gerade aber auch den Verbrechen des NS-Regimes profitiert I.G. Farben. Reichsweit und in den deutsch besetzten Gebieten ist der Konzern an "Arisierungen" (Enteignung jüdischen Besitzes) beteiligt.
Beteiligung an Verbrechen
Im industriellen Massenmord zweckentfremden die Nationalsozialisten das als Schädlingsbekämpfungsmittel entwickelte Giftgas Zyklon B. Heute geht die historische Forschung aufgrund eines erweiterten Kenntnisstands davon aus, dass man im Konzern auf oberster Ebene hiervon wusste. Ähnliches gilt für die gnadenlose Ausbeutung von KZ-Häftlingen für den Bau des I.G.-Werkes Auschwitz-Monowitz, wo 1942 in Kooperation mit der SS ein firmeneigenes Konzentrationslager (Buna/Monowitz) entsteht. Schätzungsweise 25.000 KZ-Häftlinge kommen hier infolge ihrer Zwangsarbeit für I.G. Farben zu Tode. Auch in den I.G. Farben-Werken Ludwigshafen/Oppau werden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt. Über 30.000 Kriegsgefangene und zivile ausländische Arbeitskräfte aus 34 Nationen, KZ-Häftlinge sind keine darunter. Diese Verbrechen sind 1947/48 Bestandteil des I.G. Farben-Prozesses. Die historische Verantwortung dafür wird von den Angeklagten und Verurteilten lange geleugnet.

I.G. Farben-Produkte für den Krieg, darunter Leuna-Benzin und Reifen aus Buna (Auszug aus der Werkzeitung, Dezember 1939)

Zu Besuch in einem kriegswichtigen I.G. Farben-Werk: Albert Speer, Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, 1944 in Ludwigshafen (v.l.n.r.: Willy Liebel (Nürnberger Oberbürgermeister), Carl Wurster, Hermann Schmitz, Speer, Carl Krauch) [Quelle: BASF Corporate History / Fotograf: unbekannt]

Über 30.000 Zwangsarbeitende in Ludwigshafen/Oppau
Je mehr deutsche Männer seit Kriegsbeginn zur Wehrmacht einberufen werden, desto mehr Arbeitskräfte fehlen. Dienstverpflichtete, Kriegsgefangene, ausländische ‚zivile‛ Arbeitskräfte und Häftlinge, vor allem solche aus den Konzentrationslagern, sollen die Lücke schließen. Zwischen 1939 und 1945 müssen mehr als 20 Millionen Menschen Zwangsarbeit für das Deutsche Reich leisten, davon über 30.000 von ihnen in den I.G. Farben-Werken Ludwigshafen/Oppau. Darunter sind keine KZ-Häftlinge. Die dortigen Zwangsarbeitenden kommen aus ganz Europa, vorwiegend aus Frankreich, Italien, Polen und der damaligen Sowjetunion. Etwa ein Drittel von ihnen sind Frauen. Der Höchststand ist etwa Mitte 1943 mit über 13.000 Betroffenen erreicht, was fast 35 Prozent der Gesamtbelegschaft entspricht. Zwangsarbeit ist auch in den I.G. Farben-Werken Ludwigshafen/Oppau ein öffentliches Verbrechen. Die große Anzahl an Betroffenen ist für die übrigen dort Beschäftigten unübersehbar und Teil ihres Arbeitsalltags.
Besonders entrechtet: zivile Arbeitskräfte und Kriegsgefangene aus Osteuropa
Harte körperliche Arbeit, Unterversorgung, katastrophale hygienische Zustände, Demütigungen, schwere Bestrafungen: Vor allem zivile Arbeitskräfte und Kriegsgefangene aus Polen und den Gebieten der deutsch besetzten Sowjetunion sind schwersten Belastungen ausgesetzt. Verborgene Solidarität und Hilfeleistung durch deutsche Beschäftigte bilden die Ausnahme. Zur ‚Disziplinierung arbeitsscheuer Ausländer‛ errichtet I.G. Farben 1943 ein eigenes Straflager (Arbeitserziehungslager) auf dem Ludwigshafener Werksgelände. Über 400 Menschen sterben während ihres erzwungenen Zwangseinsatzes in den I.G. Farben-Werken Ludwigshafen/Oppau. Die meisten fallen dem Luftkrieg zum Opfer – aufgrund mangelnden Zugangs zu sicheren Luftschutzvorrichtungen.

Kriegsgefangene aus Belgien (hier im Bild, Mai 1940), Frankreich, Polen, der Sowjetunion und Italien, Letztere als sogenannte Militärinternierte, müssen in den pfälzischen I.G.-Werken arbeiten. [Quelle: BASF Corporate History / Fotograf: unbekannt]

Deckungsgräben in den als Gemeinschaftslager bezeichneten Zwangsarbeiter-Barackenlagern bieten ungenügenden Schutz bei Luftangriffen und werden sogar zur Todesfalle (Werkplan von 1944 mit nachträglicher Markierung und Nummerierung der Gemeinschaftslager).
Späte Aufarbeitung und Entschädigung
Nach 1945 sind Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter lange eine vergessene Opfergruppe. Ihr Einsatz in den I.G. Farben-Werken Ludwigshafen und Oppau wird von BASF erstmals 1990 öffentlich thematisiert. 2002 ist Zwangsarbeit schließlich auch Teil der wissenschaftlich aufgearbeiteten Unternehmensgeschichte „Die BASF“.
1999 ist BASF Mitbegründerin der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. Diese ruft ein Jahr später mit der Bundesregierung die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) ins Leben, an der sich BASF mit rund 70 Millionen Euro beteiligt. Aus dem Stiftungskapital werden Zahlungen an frühere Zwangsarbeitende geleistet.
I.G. Auschwitz
Etwa 25.000 Menschen finden im Zusammenhang mit dem I.G. Farben-Werk Auschwitz-Monowitz den Tod. Die allermeisten von ihnen sind jüdische KZ-Häftlinge. Sie fallen den unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen auf der Baustelle, im Krankenbau oder bei den Selektionen für die Gaskammer zum Opfer. In Auschwitz-Monowitz zeigt sich auf brutale Weise, dass Zwangsarbeit zu den NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählt. Ab Oktober 1942 besteht mit dem KZ Buna/Monowitz auf dem I.G. Farben-Werksgelände im heutigen Polen das erste firmeneigene Konzentrationslager überhaupt, unter Leitung der SS. Es ist modellbildend für KZ-Außenlager bei anderen deutschen Unternehmen.
Der Weg dorthin beginnt 1941, als Vorstandsmitglied Otto Ambros für das vierte Buna-Werk den Standort in direkter Nähe zum Konzentrationslager Auschwitz findet. Den Einsatz von Häftlingen aus dem nahegelegenen Konzentrationslager befürwortet er. Ambros ist zuständig für den Buna-Komplex des neuen Werks, sein Vorstandskollege Heinrich Bütefisch für die Treibstoffsynthese. Und Ambros ist genau informiert und besucht die Baustelle bis 1944 insgesamt achtzehnmal. Auch an anderen I.G.-Standorten werden KZ-Häftlinge eingesetzt, etwa in Leuna.
Mitwisser und Mittäter
Der Gesamtkomplex I.G. Auschwitz ist ein Ort der Entmenschlichung. Aus Ludwigshafen/Oppau delegierte Mitarbeitende werden zu Mitwissern der Ausbeutung und physischen Vernichtung von KZ-Häftlingen – einzelne auch zu Mittätern. Die berüchtigten Selektionen von „Arbeitsunfähigen“ zur Vergasung in Auschwitz-Birkenau werden auch von I.G. Farben-Beschäftigten veranlasst oder sogar selbst durchgeführt. In Einzelfällen wird die Drohung mit Vergasung als Druckmittel für höhere Arbeitsleistungen genutzt.

In Ludwigshafen 1941 angefertigte Konstruktionszeichnung für das Kraftwerk im I.G.-Werk Auschwitz
Geplant in Ludwigshafen
Alle technischen Bau- und Konstruktionszeichnungen für das Werk Auschwitz-Monowitz werden in Ludwigshafen von Camil Santo, Erich Mach und ihren Mitarbeitern in der Bauabteilung bzw. im Konstruktionsbüro erstellt. Walter Dürrfeld, Chefingenieur aus Leuna, wird technischer Leiter für den Aufbau des Werkes in Auschwitz-Monowitz. Dort arbeiten von 1941 bis 1945 mindestens 300 Ludwigshafener und Oppauer Beschäftigte: Als Chemiker und Ingenieure, Meister, Vor- und Facharbeiter, aber auch als kaufmännische oder Büro-Angestellte, darunter Frauen. Viele von ihnen kehren danach in ihre pfälzischen Heimatwerke zurück. Sie tragen ihr Wissen über das I.G.-Werk Auschwitz und sein Konzentrationslager mit sich.

Albrecht Weinberg am Grab seiner Familie auf dem jüdischen Friedhof in Leer (Ostfriesland), 2023
Luftkrieg und Besetzung
1943 erreicht der Luftkrieg auch die I.G. Farben-Werke Ludwigshafen/Oppau. Wegen ihrer strategischen Bedeutung stehen sie ganz oben auf der Liste alliierter Bombenziele, besonders Oppau, weil hier Flugbenzin und Schmierstoffe hergestellt werden. Zwischen 1943 und 1944 sinkt die Produktion rapide, 1945 steht praktisch alles still. Ludwigshafen ist weniger kriegswichtig, wird jedoch ebenfalls hart getroffen. 1944 kommt unter anderem die Produktion von Formaldehyd und Textilhilfsmitteln faktisch zum Erliegen, bis Februar 1945 die von Zwischenprodukten und Kunststoffen. Für die Werke endet der Krieg mit der Besetzung durch US-Truppen am 23./24. März 1945. Die deutsche Kapitulation folgt am 8. Mai. Ein verheerendes wie beschämendes Kapitel deutscher Geschichte findet sein Ende.




Zerschlagung und Abwicklung
Um die Symbolkraft des I.G. Farben-Gebäudes in Frankfurt am Main wissen auch die Alliierten. Nach Kriegsende wird es zum Sitz der U.S.-Militärregierung. In den Werken Ludwigshafen/Oppau hat der Wiederaufbau größte Priorität und wird von einer hierarchieübergreifenden Solidarität begleitet. Der französischen Zwangsverwaltung und den Demontagevorhaben begegnet man gemeinschaftlich. Die Alltagssorgen drehen sich um zerstörten Wohnraum, unzureichende Ernährung und vermisste Angehörige. In Nürnberg sitzt das Management von I.G. Farben von 1947 bis 1948 im I.G. Farben-Prozess auf der Anklagebank. Rückblickend fallen die Urteile sehr milde aus. Der Konzern selbst wird von der Militärregierung zerschlagen. Rechtsnachfolgerin wird 1952 die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation (i.L.), die bis 2012 besteht.
Jahrzehnte der Verdrängung
Die Sehnsucht der meisten Menschen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft nach „Normalität“ verhindert zunächst die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit. Und auch die 1952 neu gegründete BASF ist in ihrer mangelnden Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der I.G. Farben-Werke ein Spiegelbild dieses allgegenwärtigen Vergessens, Verdrängens und Verleugnens. Am BASF-Standort Ludwigshafen sind auch in leitender Funktion weiterhin Personen beschäftigt, die bis 1945 bei I.G. Farben Verantwortung getragen hatten. Erst mit zeitlichem Abstand und einem Generationenwechsel bildet sich bei BASF (wie auch gesamtgesellschaftlich) ab den 1980er-Jahren allmählich eine neue Erinnerungskultur heraus.

Aktenordner zum I.G. Farben-Prozess aus dem Bestand von BASF Corporate History

Die fünf Anklagepunkte im I.G. Farben-Prozesses vor dem U.S. Militärgericht in Nürnberg
Auf der Anklagebank: Vereinigte Staaten vs. Carl Krauch et al.
Dreiundzwanzig: So viele I.G. Farben-Manager stehen von 1947 bis 1948 in Nürnberg vor dem U.S.-Militärgerichtshof. Obwohl angesichts der Beweislast rückblickend als sehr milde bewertet, lösen die 13 Verurteilungen in der deutschen Öffentlichkeit Unverständnis und Empörung aus. Weitere zehn Manager werden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Sie gelten den Richtern als Mitläufer und einfache Geschäftsleute. Eine Rolle bei der Urteilsfindung spielt auch der aufziehende Kalte Krieg: Die westdeutsche Industrie wird im Systemkonflikt zwischen Ost und West wieder gebraucht. Die Angeklagten sehen sich ohnehin zu Unrecht angeprangert. Sie verdrängen, leugnen und berufen sich auf Befehlsnotstand, also Handeln unter Zwang. Die Schuldsprüche erfolgen wegen Raub und Plünderung in den annektierten und besetzten Ländern (Anklagepunkt II) oder Sklavenarbeit und Massenmord (Anklagepunkt III). „Mir ist heute noch unklar, warum ich verurteilt wurde“, äußert der wegen Punkt III schuldig gesprochene Otto Ambros noch 1965.
Ein Werk in einer Stadt in einem Land ohne Täter?
Wie andernorts in der französischen Besatzungszone erfolgt die Entnazifizierung auch bei BASF vermutlich weder rigoros noch vollständig und teils offenkundig nachsichtig. Auch hier stellen sich Nachbarn, Freunde und Kollegen gegenseitig Unbedenklichkeitsbescheinigungen („Persilscheine“) aus. Von etwa 23.000 Betroffenen, die einen Fragebogen zu ihrer politischen Belastung ausfüllen müssen, werden rund 6.000 vor die „Säuberungskommission BASF/I.G. Farben“ geladen. Später geht die Verfahrensverantwortung auf Spruchkammern über. Zwar sind die Daten unvollständig, doch lassen sie eine klare Tendenz erkennen. Nur sechs Prozent der überhaupt verhandelten Fälle führen zu Entlassungen aufgrund schwerwiegender politischer Belastung.

Entnazifizierungsfragebogen von Carl Wurster

Eine scheinbar unscheinbare Glückwunschkarte
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten offenbart der Blick zurück auf die I.G. Farben-Zeit ein zweigeteiltes Erinnern: Zwar werden wissenschaftlich-technische Erfolge als Teil der Geschichte der 1952 neugegründeten BASF beansprucht. Die damit in Verbindung stehenden politisch-gesellschaftlichen Umstände oder gar Verbrechen werden allerdings ausgeblendet. Das zeigt beispielhaft die handgemalte Glückwunschkarte zu Camil Santos Pensionierung 1955, der seit 1932 die Ludwigshafener Bau-Abteilung leitet und noch als Ruheständler bis 1957 die Fertigstellung des BASF-Hochhauses betreut. In der stolz präsentierten Reihe der vielen Standorte, deren Auf- oder Ausbau Santo betreut hat, findet sich auf der Glückwunschkarte auch ohne weiteren Kommentar: Auschwitz (in der nebenstehenden Abbildung zur Veranschaulichung hervorgehoben).
Carl Wurster: eine Neubewertung
An der Spitze der 1952 neu gegründeten BASF AG steht Carl Wurster – und das bis zu seinem Ausscheiden 1965. Wegbegleitern und der breiteren Öffentlichkeit gilt er als Anpacker, als strahlende, aber auch zugängliche Unternehmerpersönlichkeit. Mit zunehmendem Abstand ergibt sich ein vollständigeres, kritischeres Bild. Wurster steht für Wiederaufbau, Wirtschaftswunderjahre und neue Erfolge, aber auch für die vielen personellen Kontinuitäten in der Belegschaft von der BG Oberrhein zur neuen BASF. Diese Verquickung legt eine neue Lesart Wursters nahe. Als Person, die ihre eigene Verantwortung als auch die Verantwortung von I.G. Farben in der NS-Zeit insgesamt verdrängte, leugnete und beschönigte.

Wandel der Erinnerungsarbeit

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