Nachhaltigkeit

Aktiv gegen das Plastikmüll-Dilemma: Interview mit Dirk Voeste

20.07.2019

Trotz der jüngst negativen Schlagzeilen um Plastikmüll ist Kunststoff bezüglich der Nutzung unser Verbündeter.

Von einem besseren Lebensstandard und Gesundheitsaspekten bis hin zur Lebensmittellagerung – Kunststoff ermöglicht Individuen und Gesellschaften weltweit wesentliche Vorteile. Kunststoff ist leicht, einfach zu formen, robust und preiswert. Seine sterile Eigenschaft macht ihn laut der Vereinigung der Kunststoffindustrie (Plastics Industry Association) in medizinischen Umgebungen mit Anforderungen an Keimfreiheit, wie Krankenhäusern, besonders nützlich.

Dennoch führt unsere starke Abhängigkeit von diesem Material zu einer Überlastung unseres Planeten mit Abfällen aus Einwegkunststoff. Weltweit werden jede Minute 1 Millionen Trinkflaschen aus Kunststoff gekauft und jedes Jahr bis zu 5 Billionen Einweg-Kunststofftüten verwendet. Laut dem Earth Day Network gelangen dadurch jedes Jahr rund 8 Millionen Tonnen Kunststoff über die Küstenregionen in die Weltmeere.

Um gegen dieses Dilemma durch Einwegabfall vorzugehen, haben dieses Jahr 30 Unternehmen die Allianz gegen Plastikmüll (Alliance to End Plastic Waste, AEPW) gegründet. Diese wachsende Non-Profit-Organisation hat 1 Milliarde US$ investiert und verfolgt das Ziel über die nächsten fünf Jahre 1,5 Milliarden US$ aufzubringen, um damit das Problem des Plastikabfalls in der Umwelt zu beseitigen. BASF ist eines dieser Unternehmen und zugleich Mitbegründer der AEPW.

Viele Unternehmen, die Nachhaltigkeit in den Fokus stellen, darunter auch BASF, kamen vor kurzem bei der jährlichen Sustainable Brands-Konferenz in Detroit zusammen, um Nachhaltigkeit und Ansätze der Kreislaufwirtschaft hinsichtlich Kunststoffabfalls zu diskutieren. Auf der Konferenz leitete Dirk Voeste, ehemals Head of Sustainability Strategy bei BASF, einen Workshop zur Kreislaufwirtschaft mit. Weiter thematisierte er in seiner Keynote-Ansprache die Nachhaltigkeitsziele von BASF. Im folgenden Interview erklärt Dirk Voeste, was BASF unternimmt, um die Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. 

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Birgit Hellmann
Global Sustainability Communications
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Dirk Voeste von BASF bei der diesjährigen Sustainable Brands-Konferenz in Detroit.

Die Nachfrage nach Nachhaltigkeit ist steigend. Welche Anforderungen sehen Sie auf Seiten des Markts und welche bei BASF-Kunden?

Es ist nicht nur der Bedarf nach nachhaltigen Produkten, sondern eine Forderung nach einem ergänzenden Wert, den das Produkt für die Gesellschaft schafft. Deshalb muss alles, was wir als Unternehmen produzieren und tun, einen sozialen, ökologischen und ökonomischen Mehrwert erbringen. Unsere Methode „Sustainable Solution Steering“ unterstützt uns darin, Innovationen voranzutreiben und ein Portfolio aus nachhaltigen Produkten aufzubauen, um die Geschäftsbedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen. Wir sehen auch, dass sich unsere Kunden zu Nachhaltigkeitsaspekten wie der Recycelfähigkeit von Produkten verpflichten. Bei diesen Entscheidungen möchten wir sie unterstützen.

Der Trend hin zur Recycelfähigkeit von Kunststoffverpackungen ist unbestritten. Welcher Wendepunkt wird dazu führen, die Herausforderung durch Kunststoffabfall zu lösen und welche Rolle kann die Chemie dabei spielen?

Wir genießen die positiven Seiten von Kunststoff, sei es im Bereich der Medizin oder bei Lebensmitteln. In vielen Bereichen verbessert sich unsere Lebensqualität durch Kunststoff-Innovationen enorm. Die Frage ist, wie wir Kunststoff in der Zukunft nutzen werden. Wir möchten die Vorteile durch Kunststoffe beibehalten und weiterentwickeln aber auch den Fehlgebrauch von Kunststoffen ansprechen. Deshalb sind wir der Allianz gegen Plastikmüll beigetreten. Jetzt ist der Zeitpunkt für uns gekommen, dieses Problem aktiv anzugehen, nicht nur als Chemieunternehmen, sondern mit der gesamten Industrie – denn es ist ein Ansatz der gesamten Wertschöpfungskette. Man muss hierzu Abfallverwerter ins Boot holen, Abfallsammler, die chemische Industrie sowie Kunden und Markenunternehmen. Hier wird auch zum ersten Mal das große Engagement der übergreifenden Wertschöpfungsketten sichtbar. Unternehmen, die zuvor noch nie miteinander zusammengearbeitet haben vereinen nun ihre Kräfte, um gegen Plastikmüll vorzugehen. Die Chemie nimmt dabei eine befähigende Rolle ein. Wir müssen unser Verhalten, wie wir Kunststoff nutzen und wiederverwenden, weiterentwickeln. Außerdem müssen wir neue Kunststoffe entwickeln, die leichter zu recyceln sind oder Wege wie ChemCycling finden, die das Kunststoffrecycling vorantreiben.

Lassen Sie uns über ChemCycling sprechen. Wie funktioniert das Verfahren?

Beim ChemCycling-Verfahren wird Kunststoffabfall von unseren Partnern in Pyrolyseöl umgewandelt und unserem Verbundsystem (unseren chemischen Anlagen) als Rohmaterial zugeführt und in neue Produkte verwandelt. Bisher war die übliche Vorgehensweise mechanisches Recycling. Beispielsweise bei Kunststoffflaschen, die aus thermoplastischem Material bestehen und wieder eingeschmolzen und geformt werden können. Bei Produkten wie Schokoladenverpackungen oder Mozarellaverpackungen, die aus diversen Materialien bestehen, ist es sehr schwierig, die Schichten zu trennen. Diese Arten von Kunststoff landen entweder in der Mülldeponie – was meiner Meinung nach keine Option ist – oder werden verbrannt. ChemCycling fügt sich genau in dieses Szenario ein: Hier werden die Hochleistungsmaterialien, die nicht trennbar oder mechanisch wiederverwertbar sind, zurück ins System geführt.

Können Sie uns einige Herausforderungen nennen, die sie im Zusammenhang mit unternehmensgesteuerten Initiativen für Kreislaufwirtschaft sehen?

Eine Herausforderung ist es, die richtigen Entscheidung zu treffen – ist es beispielweise ökologisch effizienter, altes Material zu verwenden, es zu reinigen, zu trocknen, zu mahlen und zu transportieren oder ist es besser, neues Pyrolyseöl (ChemCycling) zu verwenden? Aus einer öko-effizienten Sichtweise schließen wir häufig darauf, dass die Verwendung des Öls mit seinem intensiven Energiebetrag und dem hohem Kohlenstoffanteil nachhaltiger ist, als alte Materialien zu nutzen. Auf der anderen Seite wissen wir, dass unsere Rohstoffe begrenzt sind und wir nicht wie in der Vergangenheit fortfahren können. Deshalb liegt die Herausforderung darin, genug erneuerbare Materialien in den Kreislauf einzuspeisen, um einen Kreislaufansatz ins Rollen zu bringen.

Wie sieht die Zukunft von BASF mit Sicht auf Nachhaltigkeit aus?

Unser Unternehmensziel ist es, bis 2030 CO2-neutral zu wachsen – wir wollen in der Chemieindustrie wegweisend sein und Wert für die Gesellschaft erbringen. Wir wollen wirklich zeigen, dass wir nicht nur darüber reden, sondern auch Projekte in die Wege leiten und umsetzen.