17. November 2020
Nachhaltigkeit

Der europäische „Green Deal“: Interview mit Martin Brudermüller

17. November 2020

Im Rahmen ihres europäischen „Green Deal“ strebt die Europäische Kommission an, die Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union bis 2050 auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Im Interview erläutert Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender und CTO der BASF und Vorsitzender des Verbands der Europäischen chemischen Industrie (CEFIC), seine Sicht der Dinge und die Rolle, die er für die chemische Industrie sieht.

Der europäische Green Deal setzt auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Verfolgen die Kommission und die Chemiebranche da die gleichen Ziele oder gibt es hier eine Kluft?

Der europäische Green Deal zielt auf ein klimaneutrales Europa bis 2050 ab – und wir unterstützen dieses Vorhaben voll und ganz. Der Chemiebranche kommt dabei eine Schlüsselrolle zu und es ist sehr ermutigend, dass die Kommission dies erkennt. Die chemische Industrie legt den Grundstein für eine CO2-arme Zukunft. Wir liefern Innovationen, die für den Klimaschutz unverzichtbar sind. Zwei Beispiele: Dämmstoffe für energieeffizientes Wohnen und Batterie-Komponenten für den Bereich Elektromobilität. Unsere Produktionsprozesse sind jedoch sehr energieintensiv und verursachen Emissionen in beträchtlicher Höhe. Die Branche muss deshalb grundlegend umdenken.

Chairman of the Board of Executive Directors of BASF SE and Chief Technology Officer (CTO) of BASF SE, responsible for the divisions Corporate Legal, Compliance, Tax & Insurance, Corporate Development, Corporate Communications & Government Relations, Corporate Human Resources and Corporate Investor Relations

Welche Schritte zur Transformation geht die BASF und warum sind sie notwendig?

Wir bewerten und verbessern fortlaufend die Nachhaltigkeit unseres Produktportfolios. Dabei setzen wir die Methode Sustainable Solution Steering ein. Auch bei den CO2-Emissionen konnten wir bereits viel erreichen: Seit 1990 haben wir unseren Ausstoß in absoluten Zahlen halbiert – bei gleichzeitiger Verdopplung unserer Produktion. Dies gelang durch eine Steigerung der Energieeffizienz und Prozessverbesserungen. Diese Optionen sind nun weitgehend ausgeschöpft. Was wir jetzt brauchen, sind grundlegend neue Technologien. BASF hat deshalb ein Carbon-Management-F&E-Programm aufgelegt: ein Programm zur Entwicklung neuer Technologien für die weitere Reduzierung der CO2-Emissionen.

Steigt BASF auf eine CO2-arme Produktion um? Welchen Zeitrahmen haben Sie sich hierfür gesetzt?

Im Mittelpunkt unserer Forschung und Entwicklung stehen die sogenannten Basischemikalien. Diese Grundbausteine bergen ein großes Potenzial, da sie 
70 % der Treibhausgasemissionen in der chemischen Industrie verursachen. Bei der Entwicklung neuer Technologien setzt BASF vor allem auf zwei Aspekte: den 

Einsatz erneuerbarer Energien und völlig neue Prozesse wie die Produktion von reinem Wasserstoff. Die technologischen Herausforderungen sind riesig. Dennoch rechnen wir ab etwa 2030 mit neuen, einsatzbereiten Technologien.

Für eine klimafreundliche Chemie braucht es große Mengen erneuerbarer Energie, die zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stehen. beides ist durch Vorschriften reguliert – deshalb beunruhigt mich auch, dass sich auf politischer Ebene wenig bewegt. Wir benötigen eine geeignete Infrastruktur, damit unsere Technologien Erfolg haben und wettbewerbsfähig sind. Außerdem müssen zusätzliche Abgaben und Umlagen auf erneuerbare Energie abgeschafft werden. Uns sollten keine regulatorischen Steine in den Weg gelegt werden.

Aktuell beobachten wir, dass Kunststoffe stark in der Kritik stehen. Wie sehen Sie das vor dem Hintergrund des Green Deals?

Als Chemiker finde ich natürliche und synthetische Kunststoffe absolut faszinierend. Sie sind aus unserer Zeit nicht mehr wegzudenken. Aber ich sehe auch, dass Kunststoffabfall unsere Umwelt verschmutzt, und das ärgert mich.

Der neue Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft („New Circular Economy Action Plan“) im Rahmen des Green Deals konzentriert sich eher auf die Gestaltung nachhaltiger Produkte und auf Abfallvermeidung als auf die Abfallwirtschaft. Das ist ein Teil der Lösung. Aufklärung und Abfallvermeidung stehen in der Abfallhierarchie ganz oben. Gleichzeitig braucht es Investitionen in die Abfallwirtschaft. Wir müssen Kreislauflösungen für Kunststoffprodukte entwickeln, damit wir die Vorteile von Kunststoffen für Mensch und Umwelt künftig ohne die derzeitigen negativen Folgen nutzen können.

 

Was tut BASF im Bereich Recycling?

Die BASF bietet verschiedene Lösungen für das mechanische und organische Recycling mit Produkten an, die die Recyclingfähigkeit verbessern oder biologisch abbaubar sind. Und wir haben eine Lösung für chemisches Recycling entwickelt, die das Kunststoffrecycling einen großen Schritt voranbringt. Es geht – ergänzend zum mechanischen Recycling – um Kunststoffabfälle, die derzeit noch nicht recycelt werden. Dabei entstehen Produkte, die hohe Qualitätsstandards erfüllen, wie sie beispielsweise für Materialien benötigt werden, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen.

Ganz einfach erklärt: Der Kunststoffabfall wird wieder in Öl umgewandelt, das in unsere Produktionsprozesse – anstelle fossiler Ressourcen – einfließen kann. Eine unabhängig geprüfte Lebenszyklusanalyse hat gezeigt, dass diese Methode eine bessere Umweltbilanz aufweist als die Abfallverbrennung und eine auf fossilen Brennstoffen basierende Produktion. Wir sind überzeugt, dass chemisches Recycling zur Kreislaufwirtschaft beitragen kann, und daher die gleiche Unterstützung verdient wie andere Recyclingtechnologien.

 

Ein wichtiger Bestandteil des Green Deals ist die sogenannte „Farm-to-Fork“-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“). Ist das eine potenzielle Bedrohung für das BASF-Geschäft mit Pflanzenschutzmitteln?

Wir stehen voll und ganz hinter dem Konzept der nachhaltigen Landwirtschaft und der Idee, das europäische Ernährungssystem durch mutige Schritte nach vorn zu bringen. Faktisch sind unsere Ambition und die der Kommission gut aufeinander abgestimmt: Wir möchten den Wandel der europäischen Landwirtschaft durch Innovationen unterstützen, indem wir die Treibhausgasemissionen aktiv senken, die Biodiversität schützen und den Verbrauch natürlicher Ressourcen minimieren. Wir stellen außerdem sicher, dass Landwirte Zugang zu dem Know-how und den Technologien erhalten, die sie benötigen, um ausreichend sichere, nahrhafte, erschwingliche und nachhaltige Nahrungsmittel für alle zu produzieren.

Für diese Ambition bedarf es jedoch realistischer Ziele, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Alle Schritte in diese Richtung müssen systematisch bewertet werden. Wichtig ist vor allem auch ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen der Entwicklung erstklassiger, produktiver Landwirtschaftssysteme und dem Erhalt der Biodiversität. Und auch die Wirtschaftlichkeit ist ein Faktor in der Nachhaltigkeitsgleichung.

 

Welche Technologien sind Ihrer Meinung nach entscheidend, um die Ziele des Green Deals und der „Farm-to-Fork“-Strategie“ zu erreichen?

Um Nutzpflanzen zu entwickeln, die dem Klimawandel widerstehen, ist innovative Saatgutzüchtung notwendig. Entscheidend sind außerdem innovative biologische und chemische Pflanzenschutzmittel mit nachhaltigerem Profil. Auch Innovationen im Bereich der digitalen Technologien spielen eine große Rolle, damit Pflanzenschutzmittel und natürliche Ressourcen präziser eingesetzt bzw. genutzt werden. Mit diesen Innovationen lassen sich die ehrgeizigen Ziele der europäischen Landwirtschaft erreichen. Aber das gelingt nur, wenn die Politik und die regulatorischen Anforderungen das erforderliche Maß an Investition unterstützen.

 

Was erwartet die BASF von der Politik im Hinblick auf den Green Deal?

Der Green Deal umfasst eine Reihe gewichtiger politischer Maßnahmen – der Teufel liegt hier im Detail. Wir sind bereit für Innovation und Wandel in einem wettbewerbsorientierten Umfeld. Dafür brauchen wir allerdings den richtigen Rahmen.

Wir benötigen einen integrierten Plan, der Anreize für nachhaltige Produkte und Lösungen setzt und bei dem die Technologieentwicklung in der Industrie durch ein geeignetes regulatorisches Umfeld gestützt wird. Wir sind bereit, unsere Erfahrungen zu teilen und zu diesem wichtigen und transformatorischen Prozess beizutragen.

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Birgit Hellmann
Global Sustainability Communications
Letzte Aktualisierung 17. November 2020